Haben wir es verdient auf dem Podium zu stehen?

Verena Wilmes
3 min readOct 16, 2021
Photo by Simon Connellan on Unsplash

Im September 2020 beim Santander Triathlon in Barcelona, war James Teagle kurz vor Erreichen des 3. Platzes, als er einen Augenblick die Konzentration verlor und falsch abbog. Das kostete ihn wertvolle Sekunden, in denen der auf Platz 4 liegende Spanier Diego Mentrida an ihm vorbeizog. Doch anstatt als Dritter ins Ziel zu gehen und den ersten großen Podiumsplatz seiner Karriere einzufahren, wartete er auf Teagle und überschritt hinter ihm die Ziellinie. Anschließend sagte er, dass Teagle das gesamte Rennen über vor ihm gelegen und diesen Platz verdient habe.

Aber wie viele von uns weisen heute noch diese Art der Selbstreflexion auf? Wie ehrlich beurteilen wir unsere Leistung, Arbeitseinstellung und Disziplin in einem Bereich, in dem wir ehrgeizig sind? Können wir noch zugeben, wenn andere besser sind und nutzen es als Ansporn oder erwarten wir Dinge, die uns ehrlicherweise so nicht zustehen, die wir aber trotzdem herausschlagen wollen? Allzu oft misslingt uns eine ehrliche Selbsteinschätzung, was allerdings zu einem Großteil einfach in unserer menschlichen Natur und der Be­schaffenheit unseres Gehirns liegt.

Doch wenn wir uns die Zeit nehmen, uns ehrlich mit unseren Stärken und Schwächen zu beschäftigen, würden wir wohl alle fähig sein, „Fehler“ zu erkennen. Dazu allerdings zu stehen, diese zuzugeben fällt uns schwer. Wir suchen lieber externe Gründe, warum wir dieses oder jenes nicht geschafft haben, wieso wir keine andere Wahl hatten, als zu versagen. Wir machen alles und jeden verantwortlich.

Alle, außer uns selbst.

Wir schieben Verantwortung für unser Tun und Handeln von uns. Wir mögen die Opferrolle, wir mögen das Mitleid, suggeriert es doch, dass wir keine Schuld tragen, dass die Umstände größer waren als wir. Allerdings führt diese Sichtweise auch dazu, dass wir glauben auf andere und deren Meinung über uns angewiesen zu sein, um etwas zu erreichen. Wir bauen für die Welt eine Fassade auf, ergattern uns mehr Gehalt, mehr Urlaub, eine Beförderung, das Maximale, ohne die nötige Leistung dahinter. Und wir glauben dieser Fassade. Doch tief in uns gären die Zweifel. Und es wird Situationen geben, in denen uns all das nichts bringt.

Es gibt Situation in denen uns niemand helfen kann, in denen wir auf uns angewiesen sind, allein mit unseren Ängsten und Gedanken. Situationen, in denen Herausforderungen warten, es schwieriger wird als jemals zuvor, wir Entscheidungen treffen müssen. Besitzen wir Integrität, wissen wir immer, was zu tun ist und haben auch den Mut dazu, es zu tun. Besitzen wir Integrität übernehmen wir Verantwort­ung für die Rolle, die wir in jeder Situation im Leben gespielt haben und wissen, wenn wir Teil des Problems waren, können wir auch Teil der Lösung sein.

Wir zeigen nicht mit dem Finger auf andere und wollen nichts, was uns nicht zusteht. Wir legen weniger Wert auf äußere Anerkennung und mehr darauf, uns selbst nichts vorzumachen. Wir wollen nichts, was uns nicht zusteht.

Wir werden wissen, ob wir es wirklich verdient haben, auf dem Podium zu stehen.

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