Ein letztes Mal

Verena Wilmes
4 min readJun 12, 2021

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Photo by Taisiia Shestopal on Unsplash

Das ist nur für den Fall, dass ich gelegentlich deine Gedanken streife und dich für einen Augenblick gefangen nehme. Für den Fall, dass du mich ganz heimlich noch ver­misst und du immer, wenn das Gefühl stärker ist als deine Vernunft, nach Worten von mir suchst. Nach etwas, was mich dir näherbringt. Das hier ist nur für den Fall, dass meine Worte nicht so spurlos an dir vorbeiziehen wie es scheint und du mir eigentlich eine Menge zu sagen hättest, wenn die Dinge nur anders wären.

Nur für diesen Fall solltest du wissen, dass ich glaube, ich verstehe dich. Aber das macht es nur schlimmer.

Ein Teil von mir, bewundert dich noch immer für deine Stärke.

Jeden Morgen um sieben, sehe ich auf die Uhr. Ich weiß, wie sehr du morgens bei deinem ersten Kaffee die Ruhe schätzt, einem Kaffee zum Anrühren, während du nebenher dein Handy checkst. Du schreibst mir nicht mehr, aber ich weiß, du bist wach, so wie ich. Und es ist ganz egal, wie du dich fühlst, gut oder schlecht oder etwas dazwischen, wie sehr dich die Erinnerungen an die schmerzhaften Verluste der letzten Jahre plagen oder wie erschöpft du von deinem Arbeitspensum der letzten Monate bist. Du ziehst dich an und gehst deinen Tag an. Nach außen hin stoisch, du würdest sagen, du funktionierst und ich weiß, du bist gewissenhaft und professionell. Dein Temperament, die Ereignisse des Tages, die dich in Wallung gebracht haben, lässt du erst nach Feierabend zu. Und ich kenne so viele Gesichter von dir nach Feierabend.

Wie du es aufgekratzt und gestresst kaum in meinen Armen aushältst, wie du nicht reden willst, sondern herumalberst. Wie du sanft und erschöpft, in meinen Armen einschlafen könntest, wie du dich öffnest und plötzlich so viel zu sagen und mitzuteilen hast. Du bist die Definition von harter Schale und weichem Kern. Du bist eine Mischung, die süchtig macht. Und ich wünschte, du würdest erkennen, welche Magie du zu bieten hast.

Wie konntest du dir nur die Fähigkeit all das zu erkennen nehmen lassen? Ausgerechnet du?

Wer dich nicht gut genug kennt, unterschätzt dich und deine Sensibilität. Diese Sensibilität könnte deine größte Stärke sein, wenn du es zulassen würdest. Sie macht dein Lachen so schön, sie macht dich so unendlich fürsorglich, wenn du es zulässt, sie lässt dich so selbstlos lieben, wie nur du es kannst. Aber wer dich nicht gut genug kennt, unterschätzt vor allem, die Ängste, die dich wie Dämonen fesseln. Dämonen, die Namen und Gesichter haben, weil du es zugelassen hast.

Ich kenne dich und ich befürchte, dass deine Dämonen nun endgültig gewonnen haben, dass du aufgegeben hast. Deine Ängste davor wieder verletzt und verlassen zu werden, weil sie sagen du bist nicht gut genug, habe ich kennen gelernt. Wann immer du mich gefragt hast, was ich bloß an dir finde, wann immer du von den Kreisen geredet hast, in die mich meine Arbeit eines Tages wohl erheben wird. Du hast vielleicht nie wirklich geglaubt, dass meine Liebe für dich überdauern kann. Du hattest Angst, dass die Magie verfliegt, die mich so an dir verzaubert hat. Wolltest sie an etwas festmachen, dass dir Sicherheit, eine Garantie gegeben hätte. Du hast mir nie geglaubt, dass du die Magie bist. Deine Art zu reden, zu fühlen und zu lieben, deine Art mich anzusehen, deine Art das Leben zu leben, die mich beeindruckt, fasziniert und verzaubert. Ich liebe dich, noch immer. Aber ich habe wohl keine Chance gegen die Dämonen, die Namen und Gesichter aus deiner Vergangenheit tragen.

Wenn du in den Spiegel siehst, siehst du, wie dich die Spuren ihrer Worte und Handlungen entstellen, als hätten sie ein Urteil über dich gesprochen, während ihre Handlungen und Worte doch nur geeignet sind, um über sie zu urteilen. Du erkennst es nicht und du vertraust uns nicht.

Ein Teil von mir, kann das noch immer nicht akzeptieren.

Wir hätten diese Chance verdient, die Zukunft, die wir uns vorgezeichnet haben, auszumalen. Und ich habe es nicht verdient, mit diesen Leuten aus deiner Vergangenheit in einen Topf geworfen zu werden. Ich habe es auch nicht verdient, so angeschwiegen und ausgeschlossen zu werden, aus deinem Denk- und Entscheidungsprozess. Falls der nicht schon abgeschlossen ist. Ich habe es nicht verdient, so behandelt zu werden, als wäre nichts was ich tue gut genug, um wenigstens ein Wort von dir zur Erklärung zu bekommen. Ich bin nicht perfekt, aber ich habe nichts falsch gemacht. Und da ist mir klargeworden, dass sich deine Dämonen aus diesem Gefühl nähren. Dem Gefühl der Hilflosigkeit, die Liebe nicht festhalten zu können.

Ich muss deine Passivität akzeptieren, deine Entscheidung, die du vielleicht getroffen hast, denn ich laufe Gefahr, mich selbst zu verlieren. Ich laufe Gefahr, das Vertrauen in mich zu verlieren, zu vergessen, dass ich nur eine Person festhalten muss und das bin ich selbst. Wie oft kann man schon seinen Kopf gegen die Wand hauen, bis man einsieht, dass man irgendwann vergisst, wer man ist, während sich die Wand kein Stück bewegt?

Noch immer sehe ich bei jedem Wohnwagen, der mich überholt, ein ganzes Leben, unsere Zukunft an mir vorbeifahren. Aber ich jage ihm nicht nach. Es ist traurig zu wissen, dass du in deinem selbstgebauten Gefängnis sitzt und ich dich da nicht herausholen kann. Ich würde alles dafür tun, aber im Augenblick laufe ich Gefahr, mir mein eigenes Gefängnis zu bauen, weit weg von deinem.

Und ich weiß, dass du das nicht möchtest.

Das hier ist nur für den Fall, dass du noch nach etwas von mir suchst, nach einer Lösung für uns. Das hier, ist die einzige Nähe, die ich noch zu dir herstellen kann.

Du solltest nur wissen, ich hoffe, es geht dir gut.

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