Die Chemie der Liebe

Verena Wilmes
3 min readMar 6, 2021

--

Photo by Bill Oxford on Unsplash

Baby, du überschwemmst mein Gehirn mit Dopamin und löschst jeden Funken Serotonin aus. Mein präfrontaler Cortex ist außer Gefecht. Lass uns in den Sonnenuntergang segeln, bis uns das Oxytocin für immer aneinanderbindet.

Das wäre eine akkurate biochemische Liebes­erklärung. Der Botenstoff Dopamin, der als Glückshormon gilt, nimmt im Rausch der Ge­fühle zu, ähnlich wie bei Süchtigen, während der Serotoninspiegel abnehmen kann. Dies wird auch bei Menschen mit einer Zwangsstörung beobachtet. Eine abnehmende Aktivität des präfrontalen Cortex’ erschwert es rationale Entscheidungen zu treffen und erklärt bei vielen Frischverliebten so einiges. In Phasen romantischer Bindung wird schließlich das Hormon Oxytocin ausgeschüttet, das die Paarbindung und die Treue stärkt.

Soweit ist aufgeschlüsselt, was bei der Liebe in unseren Körpern geschieht. Obwohl sie oft mit dem Herz assoziiert wird, geschieht die Liebe im Gehirn.

In manchen wissenschaftlichen Veröffentlichungen gilt die Liebe darüber hinaus als kluge, evolutionsbiologische Erfindung. Denn je auf­wendiger es ist Nachkommen großzuziehen, umso praktischer etwas wie die Liebe, das zwei Menschen aneinanderbindet. Dementsprechend könnte das Geheimnis der Liebe kein Geheimnis sein. Es geht um das, worum es im Tierreich immer geht: Wir wollen unsere Art erhalten.

In unserer schnelllebigen Welt ist die Liebe zudem, wie vieles, zu etwas geworden, mit dem sich Geld verdienen lässt und das man vermarkten kann. All die Apps und Portale, die mit ihren unzähligen Möglichkeiten und Wischereien den perfekten Partner zu finden, werben, betten die Liebe in einen Algorithmus und schaffen eine riesige Auswahl an potenziellen Partnern zum Kennenlernen. Die Auswahl verlockt zu dem Glauben, dass niemand mehr Single sein muss, irgendwo im Internet wartet auch für unseren Topf der richtige Deckel. Wir haben dort alle Möglichkeiten die Liebe zu „finden“. Vielleicht ist die Liebe also doch vollkommen entschlüsselt? Ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir uns mittels eines Hormoncocktails verlieben können? Oder bis wir dem Algorithmus erliegen, der uns die passendsten Partner vorführt?

So leicht scheint es nicht zu sein. Denn solch ein Cocktail soll uns zwar ganz toll fühlen lassen, aber zum Verliebtsein fehlt uns dann doch ein Partner. Vielleicht ist die Liebe viel mehr eine seltene Kostbarkeit und eines der letzten Geheimnisse auf der Welt, dem wir nicht so leicht auf die Schliche kommen.

Nicht, dass wir es nicht versuchen. Auf unserer ständigen Suche nach dem High von dem wir gekostet haben, lassen wir uns von Dingen verführen, die glänzen, aber uns nur etwas vorgaukeln. Die Liebe bereitet uns die schönsten Gefühle und Stunden, Tage und Jahre, die wir auf dieser Erde erleben können. Es ist menschlich, dass wir diesem Geheimnis auf die Spur kommen und es reproduzierbar machen wollen. Das tun wir mit allem. Doch die Liebe lasst sich nicht so leicht ent­schlüsseln oder finden. Sie ist unerklärlich, kommt plötzlich und kann genauso schnell wieder gehen. Oder aber sie bleibt, ohne Erklärung, obwohl sie schon längst hätte verschwinden können. Und ihre Kraft ist unbeschreiblich. Vielleicht die stärkste Kraft, die in uns innewohnt. Im Gegensatz zu Hass kann sie unsere Wunden heilen.

In einigen wissenschaftlichen Studien wurde belegt, dass die Liebe Schmerzen lindern kann. Wenn Versuchspersonen bei einem Stromschlag die Hand ihres Partners halten durften und ihre Beziehung als liebevoll beschrieben, dann empfanden sie signi­fikant weniger Schmerzen, als Menschen, die nicht die Hand ihres Partners dabei hielten. Interessanterweise, wiesen auch Probanden, die die Hand ihres Partners hielten, jedoch ihre Beziehung nicht als sonderlich harmonisch beschrieben, keine Schmerzreduktion auf.

Möglicherweise ist die Liebe doch zu etwas mehr gut, als dem Großziehen von Nachkommen und sie ist vielleicht doch etwas geheimnisvoller als ein Hormoncocktail und ein wenig schwerer zu finden, als uns so manche App jenes glauben machen will. So schwer es uns fällt, das zu akzeptieren, weil wir sofortige Befriedigung gewohnt sind, wahre Liebe entzieht sich oft unserer Kontrolle. Und es ist gut, dass sie schwer zu begreifen, schwer zu erklären und schwer zu finden ist. Sie ist kostbar. Doch wenn wir sie haben, sollten wir nicht mit ihr geizen. Liebe muss geteilt werden, die Welt braucht mehr davon.

Und bis dahin gilt, was Phil Collins singt:

„You can’t hurry love.“

--

--

Verena Wilmes
Verena Wilmes

No responses yet